02336 / 40 89 - 0

LSG Bayern: Kann Jobcenter von dem Vermieter eines Hartz-IV-Empfängers zu Unrecht an ihn erstattete Mieten zurückverlangen?

Beitrag zum Thema Mandanteninformation · Christoph Wink · 23.04.2013

Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 21.01.2013 – L 7 AS 381/12     

 

Das Bayerische Landessozialgericht hat entschieden, dass ein Jobcenter, das für einen Hartz-IV-Bezieher zu Unrecht Leistungen direkt an den Vermieter (hier: Mieten) erbringt, diese nicht von dem Vermieter zurückfordern kann.

 

Aus dem Tatbestand:

"Streitig ist, ob der Kläger, ein Jobcenter, von dem beklagten Vermieter eines Empfängers von Arbeitslosengeld II die Rückzahlung einer Wohnungsmiete verlangen kann, die der Kläger dem Vermieter direkt überwiesen hatte.

B … zog Ende 2006 nach A-Stadt und bezieht seitdem Arbeitslosengeld II vom Kläger. Er mietete von dem Beklagten … eine Zweizimmerwohnung … Die Mutter des minderjährigen Leistungsberechtigten beantragte im Oktober 2006 schriftlich, die Miete direkt an den Vermieter zu überweisen. Dem kam der Kläger nach.

Am 23.04.2008 teilte die Mutter des Leistungsberechtigten dem Kläger telefonisch mit, dass ihr Sohn am 01.05.2008 umziehen werde und vorerst bei Freunden, bei seinem Vater oder bei ihr wohnen werde. … Mit Bescheid vom 29.04.2008 wurde die Bewilligung von Arbeitslosengeld II für Mai 2008 gegenüber dem Leistungsberechtigten … aufgehoben …

Mit Schreiben vom 17.06.2008 forderte der Kläger den Beklagten auf, die Miete für Mai 2008 in Höhe von 220,- Euro an den Kläger zurück zu überweisen. Der Leistungsberechtigten habe im Mai nicht mehr in der Wohnung gelebt. Es sei nicht ausschlaggebend, dass die Wohnung noch nicht geräumt gewesen sei.

Der Beklagte entgegnete, dass der Mietvertrag erst Anfang Mai 2008 gekündigt worden sei und die Kündigungsfrist am 31.08.2008 endete. Das Mietverhältnis habe im Mai fortbestanden. Die Wohnungsschlüssel seien erst im Juni 2008 übergeben worden. Es sei nicht Sache des Vermieters, den tatsächlichen Aufenthaltsort eines Leistungsbezieher zu ermitteln. Es bestehe kein Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und einem Vermieter.“

 

Aus den Gründen:

„Die Klage war nicht begründet, weil dem Kläger kein Rechtsanspruch auf die Rückzahlung der Miete zusteht.

Als Anspruchsgrundlage kommt nur der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in Betracht. Ein zivilrechtlicher Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung nach §§ 812 ff BGB scheidet im Anwendungsbereich des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs aus. Dies gilt erst recht, wenn dieser seinerseits durch § 50 SGB X ausgeschlossen wäre. …

Ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch besteht nicht, weil dessen Tatbestandsvoraussetzungen nicht vorliegen. … Den nachfolgend wiedergegebenen Ausführungen des Sozialgerichts ist in vollem Umfang zuzustimmen:

"Selbst wenn das Institut des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches vorliegend anwendbar wäre, würde das Erstattungsverlangen des Klägers gegenüber dem Beklagten an dem im Rahmen der §§ 812 ff BGB geltenden Vorrang der Leistungsabwicklung innerhalb der bestehenden Leistungsbeziehungen scheitern.

Wie oben dargelegt, tritt der Vermieter im Falle der Direktüberweisung nicht in die Stellung des Leistungsberechtigten ein mit der Folge, dass zwischen ihm und dem Leistungsträger eine eigenständige Leistungsbeziehung entsteht. Sofern Zahlungen an den Vermieter zur Erfüllung des Leistungsanspruchs für die Kosten der Unterkunft erfolgen, handelt es sich bei diesen um Leistungen im Verhältnis zwischen dem Leistungsträger und dem Berechtigten, wie er sich aus dem Bewilligungsbescheid ergibt. Die Zahlungen an den Vermieter erfolgen sodann mit Erfüllungswirkung, §§ 267, 362 Abs. 2 BGB.

Bereicherungsrechtliche Leistungsbeziehungen, die nach §§ 812 ff BGB abzuwickeln wären, bestehen bei dieser Konstellation zum einen im Verhältnis Leistungsträger zu Leistungsempfänger, was als "Deckungsverhältnis" bezeichnet wird, zum anderen im Verhältnis Leistungsempfänger zu Vermieter, was als "Valutaverhältnis" bezeichnet wird.

Erfolgt die Vermögensverschiebung wie vorliegend durch Leistung, also auf Grund bewusster und zweckgerichteter Vermehrung fremden Vermögens, ist nach den Grundsätzen zu § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB der Vorrang der Leistungsbeziehung zu beachten. Dies bedeutet, dass der Gläubiger des Erstattungsanspruchs wegen desselben Gegenstands keinen Anspruch auf Bereicherung in sonstiger Weise (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB) gegen einen Dritten haben kann. Deshalb kommt in einer Dreieckskonstellation, sofern es in einer Rechtsbeziehung an einem rechtlichen Grund für die erbrachte Leistung fehlt, ein Erstattungsanspruch grundsätzlich nur zwischen den an dieser Rechtsbeziehung Beteiligten in Betracht (BGHZ 137, 89, 95 mwN, Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 71. Auflage 2012, § 812 Rn. 7, 54 ff, 63 f).

Diesen Vorrang der Leistungs- vor der Eingriffskondiktion bejaht auch das Bundessozialgericht (vgl. BSG, Urteil vom 28.10.2008, B 8 SO 23/07, BSGE 102, 10). Er gilt zudem für Fälle, in denen der Rechtsgrund – wie hier – nachträglich entfällt, § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB regelt diese besondere Konstellation der Leistungskondiktion.

 

Ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch entsprechend der Durchgriffs- oder Doppelkondiktion des Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung, der bestehen kann, wenn beide Rechtsbeziehungen (Deckungs- und Valutaverhältnis) unwirksam sind (vgl. Palandt, a.a.O., § 812 Rn. 67), scheidet aus, weil der mietvertragliche Anspruch aus dem Valutaverhältnis, dem Mietvertrag, für Mai 2008 wegen der Kündigungsfrist nach § 573c BGB bestand.

Lediglich ergänzend wird angemerkt, dass das dargelegte Ergebnis auch praxistauglich erscheint. Es ist schwer vorstellbar, dass ein Vermieter, der eine Direktzahlung nach § 22 Abs. 7 SGB II erhält, im Wege des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs die Risiken der Behörde zu übernehmen hat, die in einer Leistungsbewilligung enthalten sein können. So kann ein Leistungsanspruch auf Übernahme der Miete zum Beispiel entfallen, wenn der (vormals) Leistungsberechtigte einen Partner oder eine Partnerin mit erheblichem Einkommen in die Wohnung aufnimmt (§ 7 Abs. 3 Nr. 3c, § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II), ohne Zustimmung der Behörde einen auswärtigen Urlaub verbringt (§ 7 Abs. 4a SGB II), eine Ausbildung beginnt (§ 7 Abs. 5 SGB II) oder über anrechenbares Einkommen und Vermögen verfügt, das er der Behörde pflichtwidrig nicht mitgeteilt hat.“

 

Hinweis:  Das LSG hat wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Revision zugelassen, das Urteil ist damit noch nicht rechtskräftig. Das Revisionsverfahren wird bei dem BSG unter dem Aktenzeichen  B 14 AS 15/13 R geführt.

 

Quellenhinweis: Das Urteil kann im Volltext unter lsg.bayern.de abgerufen werden.

 

Christoph Wink
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht
 
Erhard & Maas Rechtsanwälte Schwelm
www.anwaltsteam.eu
 

Zurück zur Übersicht